Sardinien, Golfo di Orosei

Die gigantischen Klippen des Capo di Monte Santu empfangen uns im Licht der Morgensonne. Die Mächtigste Kalksteinformation Sardiniens scheint sich hier gegen das Meer aufzubäumen um dann darin zu versinken. Am Fuße dieser beeindruckenden Steilküste tuckern wir in einem kleinen Kutter unserem Ziel im Golfo di Orosei entgegen.

Zahlreiche große Portale über und an der Wasserlinie säumen unseren Weg. Nur wenige bergen weiterführende Höhlengänge in ihrem Inneren. Viele der Räumlichkeiten bieten Küstenvögeln Unterschlupf. Der wohl seltenste Brutvogel ist der Eleonorenfalke.

Weniger exotisch erscheinen uns die zahlreichen Tauben die in der Wand flattern. Es sind tatsächlich die Stammväter unserer Haustaube, die hier in den Höhlen nisten. Die abgebildete Grotta di Colombi wurde sogar nach ihnen benannt. (Grotte der Tauben)

Die wahren Tore zur Unterwelt liegen oft versteckt. Es sind die großen, heute noch aktiven Entwässerungen des darüberliegenden Karstplateaus, die wir erforschen wollen.

Die märchenhafte Welt der Finsternis nimmt uns in sich auf. Schwerelos gleiten wir dahin. Versunkene Tropfsteinformen zeugen von einer lange vergangenen Zeit. Einst lag diese Höhle trocken und weit oberhalb des Meeresspiegels, so daß sich diese fantastischen Sinter bilden konnten.

Die wissenschaftliche Arbeit Unterwasser ist anstrengend und erfordert große Konzentration.
Moderne Technik wie digitale Photoapparate und handliche Beleuchtungsysteme gehören genauso zur Ausstattung wie primitive Saugflaschen zum Fang kleiner Tiere.
Zahlreiche Proberöhrchen, Maßstab, Meßgeräte und Sammelsäckchen werden in Taschen mitgeführt. Die Schreibtafel ist das wichtigste Utensil.

Die Grundlage jeder weiterführenden Arbeit bildet die genaue Vermessung und dauerhafte Markierung der Entfernungen vom Eingang.

Ausgebrachte Gegenstände, wie diese Objektträger für eine Mikrobiologische Untersuchung, müssen wieder gefunden werden. In der Auswertung gewährleistet die genaue Definition der Örtlichkeiten einen Abgleich verschiedener Daten und Erkenntnisse.

Viele Tiere des offenen Meereslitorals dringen, wie diese Nacktschnecke (Dendrodoris limbata), erstaunlich weit in die Höhlen vor.

Sie ernähren sich von eingeschwämmtem Material und Bakterienrasen.

Dort wo wir in Luftglocken auftauchen können, drohen beeindruckende Tropfsteinformationen von der Decke. Stümpfe abgebrochener Stalagtiten erzählen von Erdbeben welche die Insel einst erschütterten.

Das geübte Auge entdeckt die Schönheit der kleinen Sinterformen an den Wänden: Excentriques nennt man die durch Kapillarkräfte gegen die Schwerkraft wachsenden kleinen Sinterröhrchen.

Bis viele hundert Meter vom Eingang ist eine sogenannte Halokline ausgebildet, eine scharfe Trennschicht zwischen "schwerem" Salzwasser und "leichtem" Süßwasser. Das kalte Süßwasser fließt auf dem warmen Meerwasserkörper dem Ausgang entgegen.

Ab welcher Entfernung sich diese Schichtung auflöst und kein Salzwasser mehr vordringen kann, ist von der Morphologie und Süßwasserschüttung der Höhle abhängig. Das Süßwasser ist zumeißt klarer und birgt seine eigene Lebewelt.

Das Verlassen des Wassers nach längeren Tauchstrecken ist umständlich. Die Wahrscheinlichkeit, hier auf Neuland zu stoßen ist jedoch sehr groß.

Meßzug um Meßzug streben wir ins Unbekannte- dort hin, wo zuvor noch kein Mensch gewesen ist.

Spitze Sinternadeln und Aragonitkristalle zieren die immer enger werdenden Gänge und bohren sich durch unsere Anzüge. Lehmmassen bestimmen das Raumbild. "Schlufen", wie wir die kriechende Fortbewegungsweise nennen, ist angesagt. Geduld und Ausdauer sind die Qualitäten des Höhlenforschers.

Nach einigen Stunden und vollbrachter Tat treten wir den Rückweg an. Gleichmäßig surrend ziehen uns die Unterwasserfahrzeuge durch die Gänge.

Ein blasser Schimmer- dann ein heller Punkt- schließlich der Umriss des Einganges in sanftem Blau. Wir fliegen hinaus in die strahlende Welt des Meeres.

Wieder am Schiff beginnt emsiges Treiben: Alles wird an Bord gehoben, verstaut und gesichert.

Dann können wir uns entspannen, hinaus in die Weite blicken oder ein Nickerchen halten, bevor das neuerliche Räumen im Hafen anfängt.

Die von uns momentan bearbeitete und hier dargestellte Höhle ist nun auf über 2,5 km Gesamtlänge vermessen, die sich etwa zu gleichen Teilen auf Über- und Unterwasserstrecken aufteilt. Wertvolle Erkenntnisse über die Biologie und Geologie wurden gewonnen und sind zum Teil bereits auf dem Wege der Publikation.

Wir arbeiten mit Genehmigung der Behörden und in Zusammenarbeit mit Sardischen Forschern. Die Unterlagen und Pläne werden dem Kataster in Cagliari zugeführt.

Das Projekt wird in den folgenden Jahren fortgeführt und bis jetzt aus eigener Tasche finanziert.

Das Team:

Herbert Jantschke: Expeditionsleiter, Vermessung, Paläontologie

Andreas Kücha: Vermessung, Kameramann

Jürgen Bohnert: Teamarzt, Mikrobiologie, Vermessung, Photographie

Anke Oertel: Biologie, Photographie, Vermessung

Salvatore Busche: Teamarzt, Vermessung

Karsten Gessert: Vermessung

Antoniello Irrittu, Christian Piras: Bootsführer

Christine Jantschke, Katja Sablonski